Emanuel Mathias’ künstlerischer Forschungsprozess untersucht das Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz zwischen Affenforscher*innen und Menschenaffen. Die Ausstellung WIR SIND DEINE AFFEN bildet den Abschluss des seit 2017
laufenden künstlerischen Ph.D.-Forschungsvorhabens von Emanuel Mathias.
Die öffentliche Disputation findet am 28. Mai 2025 um 13:00 Uhr bei
statt. Die Eröffnung der Ausstellung am selben Tag um 19 Uhr.
Im Zentrum der Untersuchung steht eine internationale Gruppe von Freilandprimatolog*innen des Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Mathias’ multimediale, installative Forschungslabore – bestehend aus Fotografie, Video, Text, Sound, Found Footage und Performance – laden die Betrachtenden dazu ein, selbst in die Rolle künstlerisch Forschender zu schlüpfen und der Frage nachzugehen: Was geschieht, wenn der Beobachter der Beobachtenden selbst beobachtet wird? Herzstück der Ausstellung ist die neue, raumfüllende Arbeit Forscherwand (Version 3) von 2025, in der Texte, Objekte und Bilder aus dem Forschungsprozess in Form einer großformatigen Textilarbeit zusammengeführt werden. Erstmals wird zudem das vollständige Manuskript der Ph.D.-Arbeit im Verlauf der Ausstellung öffentlich zugänglich gemacht.
Making Kin – Beziehungen eingehen zwischen der Primatin, der Primatologin und dem Künstler.
I. Die Primatologin
Die Primatologin betritt den Wald mit der Frage: Was bedeutet es, in einer Kultur
menschlicher Primaten zu leben? Sie beobachtet sie mit eigenen Augen oder mit optischen Hilfsmitteln wie Ferngläsern und Kameras. Sie misst und sammelt, zeichnet und macht Notizen. In einem Prozess, der Habituierung genannt wird, gewöhnen sie sich allmählich an ihre Anwesenheit. Sie gibt ihnen Namen: Papa Wemba, Velvet, Sigmund und Gloria. Manchmal fühlt sie sich ihnen sehr nahe, aber sie verbietet sich, sich davon beeinflussen zu lassen. Sie erstellt Richtlinien: „Wenn sich Schimpansen mehr als sieben Meter nähern, sollte man sich diskret entfernen“ oder „Nicht anfassen, nicht gemeinsam essen, keine sozialen Kontakte!“ In ihrer Freizeit liest sie Fjodor Dostojewskis Der Idiot, Daniel Defoes Robinson Crusoe oder Heinrich Harrers Sieben Jahre in Tibet. Sie weiß, dass sie sie in Gefahr bringt. Doch sie strebt weiterhin ein umfassendes Verständnis dafür an, was uns als Menschen im Gegensatz zu unseren nächsten lebenden Verwandten ausmacht. Manchmal arbeitet sie mit Schlangenattrappen, um sie zu erschrecken und zu sehen, wie sie reagieren. Um sie zu täuschen, muss sie ihren Weg durch den Wald vorhersehen. Sie posiert gerne mit Bäumen im Wald. Doch gelegentlich passiert es, dass sie beinahe von einem herabfallenden Ast getroffen wird. Wenn sie vom Feld zurückkehrt, beginnt sie im Institut zu arbeiten, verfasst Aufsätze über ihre Beobachtungen im Wald. Sie entwickelt auch Rituale, zum Beispiel posiert sie mit den gesammelten Werkzeugen der Primaten in Form von tableaux vivants. Dazu arrangiert sie die Werkzeuge der Primaten auf dem Boden des Instituts, um ein Foto von oben zu machen, während sie sich in verschiedenen Posen dazwischen platziert – was an evolutionäre Illustrationen erinnert. Zuhause vermisst sie den Wald. Viele Lianen und grüne Pflanzen hängen von der Decke ihrer Wohnung herab und rekonstruieren den grünen Wald. Sie weiß, dass mit dem Aussterben der Primaten auch das Objekt ihrer Beobachtung und somit der Zweck ihrer Forschung als Primatologin enden wird.
II. Die Primatin
Eines Tages wacht die Primatin im Wald auf. Sie schaut sich um und bemerkt sie dann. Sie kommen immer morgens und gehen abends. Eigentlich schaffen sie es nicht, sich so unauffällig zu bewegen, wie sie es gerne würden. Sie fragt sich, wo sie wohl schlafen. Nach dem Fressen ruht sie sich aus, und sie scheinen sich ebenfalls auszuruhen. Manchmal sieht sie sie Wasser trinken. Sie richten ihre Kameralinsen auf sie. Sie denkt: „Wollen die mich betäuben?“ Manchmal nimmt sie ein Stück eines Astes und berührt damit ihre Kamera. Sie erkennt sich im Spiegelbild der Kamera. Sie denkt, dass sie sich nicht so verhalten wie sie, aber sie sind irgendwie Teil der Gruppe. Sie sitzen und stehen und gehen, aber sie sprechen nicht wirklich. Manchmal versuchen sie, ihren Körper abzuwenden, sodass es nicht bedrohlich wirkt. Sie erinnern sie an sich bewegende Bäume. Sie dachte immer, dass sie keine besonders guten Menschen sind, keine besonders guten Primaten, und auch keine besonders guten Bäume. Irgendwie passen sie nirgendwo richtig hin. Sie weiß, dass es Unterschiede unter ihnen gibt. Eine Frau bindet sich die Haare hoch. Sie denkt, dass sie eine sehr lange Mähne hat. Sie ist neugierig, was genau sie sind – sie ist immer noch nicht in der Lage, sie einzuordnen oder miteinander zu vergleichen.
III. Der Künstler
Der Künstler kommt ins Institut, weil er daran interessiert ist, den Beobachter zu beobachten. Er arbeitet tastend, denkt in Möglichkeiten, macht Vorschläge. Nach einer Weile spricht er wie sie, denkt wie sie, benutzt die Sprache so, wie sie sie verwenden. Er wird beeinflusst von ihrem Wissen, von ihrer Sicht auf die Welt der Primaten. Er liebt es spielerisch, neckend, spiegelnd in wissensbildende wissenschaftliche Prozesse einzugreifen. Er möchte sich mit dem Anderen verwandt machen. Nach einer Weile sagen sie ihm, dass sie verstehen, dass sie sich selbst als seine Affen wahrnehmen. Er fragt sich, wie er sich in diesem unbekannten Terrain ausdrücken kann – nicht nur, um verstanden zu werden, sondern auch, um Unruhe zu stiften und eine Diskussion darüber zu entfachen, was es bedeutet, eine Grenze zwischen dem Forscher und seinem Beobachtungsobjekt zu ziehen. Er beginnt, sich als Primat zu verkleiden. Er beginnt zu fühlen, wie es ist, der Beobachter des Beobachteten zu sein. Es bedeutet, jemanden anzusehen und gleichzeitig sich selbst zu betrachten. Für ihn ist es wie ein Kippbild. Er beginnt, Notizbücher wie sie zu führen, Daten zu sammeln wie sie, ihnen Spitznamen zu geben, ihre Werkzeuge zu benutzen. Er beginnt, Kisten in seinem Atelier zu packen mit ihren und seinen Werkzeugen und Gegenständen, um in den Wald zu ziehen. In einer der Kisten schmuggelt er ein Buch von Donna Haraway. In seiner Vorstellung liest er dieses Buch mit ihnen, während sie am Lagerfeuer sitzen, nahe bei den Nestern der Tiere, über ihre Beziehungen nachdenken und eine Verwandtschaft zwischen Primat, Wissenschaftler und Künstler herstellen.
Emanuel Mathias, Making Kin between the Primate, the Researcher, and the Artist (Auszug)
in: Mend, Blend, Attend: Advancing Artistic Research, 2022.
Biografie
Emanuel Mathias ist Künstler und Forscher und setzt sich mit den Fragen von Distanz-Näheverhältnissen in interdisziplinären Zusammenhängen, zwischen Kunst und Wissenschaft, Mensch und Natur auseinander.
Er studierte von 2002 – 2009 künstlerische Fotografie an der Kunsthochschule für Graphik- und Buchkunst in Leipzig bei Timm Rautert und Christopher Muller und erhielt 2009 sein Diplom. Von 2009 – 2011 folgte ein Meisterschülerstudium bei Tina Bara ebenda.
In den Jahren 2017 – 2024 forschte er im Rahmen seines Ph.D. an der Bauhaus-Universität
Weimar über das Nähe Distanzverhältnis von Biolog*innen, die das Verhalten von Menschenaffen untersuchen. Mathias lebt und arbeitet in Leipzig.
Weimar
28.05.2025 - 14.06.2025
WIR SIND DEINE AFFEN
Emanuel Mathias
Ort: EIGENHEIM Weimar, Asbachstraße 1, Weimar
Dauer: 28.05. – 14.06.2025
Die Ausstellung WIR SIND DEINE AFFEN bildet den Abschluss des seit 2017 laufenden künstlerischen Ph.D.-Forschungsvorhabens von Emanuel Mathias. Die öffentliche Disputation findet am 28. Mai 2025 um 13:00 Uhr bei EIGENHEIM Weimar statt. Die Eröffnung der Ausstellung am selben Tag um 19 Uhr.