Weimar

31.03.2023 - 29.04.2023
NEED BEFORE GREED
meine kleine Welt – meine warme Stube

Eine Ausstellung zum Thema Wohnraummangel im Rahmen des Themenjahres Wohnen der Klassik Stiftung Weimar.

Ort EIGENHEIM Weimar, Asbachstraße 1, Weimar
Dauer 31.03. – 29.04.2023
Vernissage 31.03.2023, ab 19:30 Uhr, ab 22 Uhr Aftershowparty zur Eröffnung des Themenjahres Wohnen der Klassik Stiftung Weimar

Öffnungszeiten Do. – Sa. 16 – 19 Uhr

beteiligte Künstler*innen sind Winfried Baumann, Benedikt Braun, Nøne Futbol Club, Frederik Foert, Enrico Freitag, Samira Gebhardt, Andreas Grahl, Nina Röder, Operation Himmelblick, Daniel Schwartz und Giovanna Borasi, Klaus Staeck, Jakob Wirth und Heinrich Zille

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Informationen

Wohnen gehört zu den existenziellen Grundbedürfnissen des Menschen. Wohnraummangel ist demnach existenzbedrohend und schürt gesellschaftliches Ungleichgewicht und individuelle Ängste. Die eigenen vier Wände bieten Schutz und Geborgenheit. Kann dieses Bedürfnis jedoch nicht erfüllt werden oder verschlingt Wohnen einen Großteil des Einkommens, befindet man sich unweigerlich in einer Abhängigkeitsspirale. Doch was tun, wenn der Mensch sich nicht aussuchen kann, wo und wie er wohnen will, weil das Angebot bei weitem die Nachfrage nicht deckt? Laut einer Studie* fehlen deutschlandweit mehr als 700.000 Wohnungen und 263.000 Menschen leben ohne festen Wohnsitz. Die Mietpreise sind in Berlin in den letzten 10 Jahren um 50% gestiegen, in München gar um 70%. Ob Studenten, Familien, Rentner oder der gutverdienende Mittelstand – das Problem zieht sich durch alle gesellschaftlichen Schichten.


Für uns ein Grund im Rahmen des Themenjahres Wohnen der Klassik Stiftung Weimar 2023 dieses spezielle Thema aufzugreifen und zu diskutieren. Als Raum für zeitgenössische Kunst und Kommunikation widmen wir uns aktuellen, gesellschaftlich relevanten Themen, sind Neuentwicklungen der Künste auf der Spur und bringen diese in den Ausstellungsraum. Der Titel der Ausstellung NEED BEFORE GREED / meine kleine Welt – meine warme Stube entspringt dabei einem Zitat eines amerikanischen Protestschildes aus den 1950er Jahren (need before greed zu Deutsch Bedürfnis vor Gier) und einem Liedtext der Band Die Goldenen Zitronen und unterstreicht auf diese Weise die politische Ausrichtung der Ausstellung zum Thema Wohnungsnot.

Mit dem Thema werden die Probleme einer neoliberalen Gesellschaft und verschiedene Missstände unseres Sozialstaates offengelegt. Seit der Industrialisierung und dem massenhaften Zuzug in die Großstädte zum Ende des 19. Jahrhunderts ist Wohnraummangel Ausdruck von u. a. sozialer Ungleichheit und Ausbeutung. Krieg, Flucht und Vertreibung sind genauso historische wie aktuelle Ursachen für den Mangel an Wohnraum. Komplexe Baustandards, der Trend zu Singlehaushalten und die Zweckentfremdung von Wohnraum sind weitere Katalysatoren für die anschwellende Problematik und die exponentiellen Mietpreiserhöhungen. Im Rahmen der Möglichkeiten von EIGENHEIM Weimar versuchen wir exemplarisch durch ausgewählte künstlerische Positionen, die Ursachen und Wirkungen sowie mögliche Visionen aufzuzeigen.

Zu den Arbeiten

Mit einer vergangenen Vision des Wohnungsbaus beschäftigt sich Enrico Freitag in zwei Gemälden, inspiriert von einer Messerschmitt Reihenhaussiedlung. Das Flugzeugunternehmen Messerschmidt baute in den 1930er Jahren Einfamilienhäuser für seine Mitarbeiter um diese langfristig an das Unternehmen zu binden und somit abhängig zu machen. Sensibel, surreal und grotesk behandelt die Fotografin Nina Röder in der Serie Wenn du gehen musst, willst du doch auch bleiben die Themen Flucht, Vertreibung und Wiederansiedlung. Die farbigen Mittelformatfotografien zeigen Interieurs aus dem Haus der Großeltern und performative Annäherungen an Objekte, mit denen Erinnerungen und Familiengeschichten verbunden sind. Die Großeltern flohen während des Krieges als Sudetendeutsche nach Süddeutschland, fanden hier eine neue Heimat, bezogen ein neues Haus und entwickelten, nach dem damaligen Verlust ihrer Habseligkeiten, eine ausgeprägte Sammelleidenschaft.

Prekäre Wohnsituationen, damals wie heute behandelt Frederik Foert auf seine ihm eigene Art der kunsthistorischen Zitataneignung, in Zusammenhang mit autobiografischen Einschüben. Frederik Foert lebt und arbeitet in Berlin, Wien und Peking, wobei ihn seine Wohnung in Wien, in dem von ihm fotografierten Ausschnitt, an das Bild Der Arme Poet von Carl Spitzweg aus dem Jahr 1839 erinnert. Kurzerhand steht eine historische Postkarte der Malerei Spitzwegs Pate für die Fotografie und wird zu einem spielerischen Gleichnis bezogen auf seine Wiener Wohnung. Eine weitere Exkursion in die Kunstgeschichte wird mit Arbeiten von Heinrich Zille unternommen. Der 1929 in Berlin verstorbene Grafiker, Maler und Fotograf war sozialkritischer Zeitzeuge der prekären proletarischen Berliner Lebensumstände zur Jahrhundertwende. In der Ausstellung werden drei Lithografien aus einer Grafikmappe von 1919/20 gezeigt die u.a. das bekannte Zitat "Man kann mit einer Wohnung genauso gut einen Menschen töten, wie mit einer Axt." enthalten.

Die satirischen Plakate des Grafikers, Karikaturisten, Anwalts, jahrelangem Präsident der Akademie der Künste und Publizist Klaus Staeck sind Zeugnisse seiner politischen Haltung. Seine Satire provoziert immer wieder Politiker in konservativen Kreisen und erhebt sich gegen gesellschaftliche Ausbeutung und Ungleichheit. Die in der Ausstellung gezeigten Plakate sind eine Auswahl, welche sich kritisch mit Bauunternehmertum, dem Mietrecht oder der politischen Ausrichtung der CDU/CSU und FDP auseinandersetzen. Das Künstlerkollektiv Nøne Futbol Club aus Paris zeigt drei verschiedene Arbeiten aus den Bereichen Video, Objekt und Druckgrafik. Das Wandobjekt Work nº4-40 : Coût de dette, balayette, (zu Deutsch: Schuldenkosten, Kehrbesen) aus dem Jahr 2022 besteht aus einer Zinn-Blei-Legierung und zeigt eine stetig ansteigende Kurve, die an einen Börsenkurs erinnert der unter Herzflimmern leidet. Die Grafik mit dem Namen Work nº068: French Cancan Ballet (dt. französisches Tanzballett) zeigt einen Polizisten, der während eines Aufruhrs sein Bein hebt, um sich vor dem Feuerball eines Brandgeschützes zu sichern. Die Geste wird hier umgedeutet, um eine Grafik im Stil des Moulin Rouge zu schaffen. Eine Systemumkehrung wird zur Metapher für die notwendigen gesellschaftlichen Neuorientierungen.

Das gerade in Großstädten wie Berlin oder München der Wohnungsmarkt außer Kontrolle geraten ist und sich innerhalb von fünf Jahren die Mietpreise verdoppelt haben, ist ein prägnanter Hintergrund der Guerilla-Intervention Penthouse à la Parasit des in Berlin lebenden Künstlers Jakob Wirth. In der Aktion gelingt es ihm, ein kleines vollverspiegeltes Haus, ohne das Wissen der Eigentümer, auf deren Dach zu montieren. Das Penthouse à la Parasit versucht sich der Beschleunigung des Wohnungsmarktes zu widersetzen. Es eignet sich seinen Platz an, experimentiert mit den Grenzen und Normen des Baurechts und der Eigentumsverhältnisse und stellt damit die festgelegten Hierarchien des Wohnungsmarktes und die Ordnung der Stadt infrage. Das in der Ausstellung präsentierte Video zeigt, in überzogener Manier eines Werbevideos, dass man sich für eine Übernachtung in diesem prekären Penthaus bewerben kann. Eine weitere zentrale Arbeit in der Ausstellung ist in einem Kollektiv entstanden, in dem auch Jakob Wirth engagiert ist.

Das Kollektiv Operation Himmelblick, bestehend aus das Vertretern der Bereiche Kunst, Architektur, Soziologie, Ökonomie und Städtebau. In Berlin Alt-Hohenschönhausen hat es auf einem seit 20 Jahren brachliegenden Gelände mit leerstehenden Plattenbauten ein Artist in Residence Programm ins Leben gerufen und auf diese Weise die Potenziale einer vergangenen Vision des Wohnens zu untersuchen und die Ressourcen des Leerstandes in Erinnerung zu rufen. Der in Nürnberg ansässige Künstler Winfried Baumann arbeitet an der Schnittstelle von Kunst, Architektur und Design und entwickelt seit 2001 Wohnsysteme für Obdachlose und andere urbane Nomaden. Was bedeuten ein Dach über dem Kopf, Obdach, Heimat, Wohnen und Leben heute und in Zukunft? Das Projekt Instant Housing ist zwischen materieller Funktionalität und einem künstlerischen Konzept angesiedelt, das flexibel auf eine sich verändernde, mobilere Gesellschaft mit ihrem Anforderungsspektrum reagiert und dies mit seinen vielen verschiedenen Modellen exemplarisch visualisiert. In der Ausstellung wird eine Arbeit aus der Shopping Cart Serie mit dem Titel Netto-900 gezeigt – ein Einkaufswagen mit übertrieben umfangreicher Ausstattung bestehend aus Satellitenschüssel, Photovoltaikanlage, Laptop und natürlich Schlafliege und Schlafsack.

Andreas Grahl
und Samira Gebhardt preisen in ihrer Videoarbeit derrechtewinkel diesen als zivilisatorische Errungenschaft. Metaphorische Bilder und fragmentarische Poesie vermitteln das Gefühl der Beklemmung, die durch Ordnung und Reihung der Architektur der Moderne entsteht. Benedikt Braun zeigt das Objekt Hausieren verboten und die Lichtinstallation In der Ecke ändert sich Alles. In dieser geht es um die Hervorhebung des gesellschaftlichen Randes und um die Potenziale, die in eben diesen Ecken schlummern. Auch der Film What it takes to make a home von Daniel Schwartz und Giovanna Borasi beleuchtet und diskutiert das Leben am Rand der Gesellschaft. Dieser konzentriert sich auf Ursachen und Bedingungen von Obdachlosigkeit und stellt die Frage, welche Rolle Architekten bei der Überwindung der Stigmatisierung von Menschen mit Obdachlosigkeit spielen können, um integrativere Städte zu schaffen. Eine kleine Bibliothek mit ausgesuchten Publikationen zu Utopien in Architektur und Urbanistik, Wohnungsbau und einschlägiger zeitgenössischer Kunst vervollständigt das Ausstellungsangebot.

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