Wir wollen Stellung
beziehen, denn es steht viel auf dem Spiel. Am 01.09.2024 finden in
Thüringen und Sachsen die Landtagswahlen statt, und es scheint auch hier
ein Trend um sich zu greifen, welcher aktuell nicht nur Deutschland und
Europa, sondern darüber hinaus die globale Politik beschäftigt und
spaltet. Populisten und rechte politische Strömungen gewinnen immer mehr
Einfluss, und auf allen Ebenen wird über Ursachen und mögliche
Auswirkungen auf die Politik, Wirtschaft und Kultur diskutiert.
Eine
durch vielfältige soziale, politische und technologische Veränderungen
sowie von Krisen und Kriegen geprägte Weltordnung lässt in der
Gesellschaft Unsicherheit und Unverständnis entstehen. Dieses
Grundgefühl wird durch Parteien wie der AfD mit populistischen Konzepten
verstärkt, um diesem dann mit angeblich einfachen Antworten zu
begegnen. Der Plan scheint aufzugehen. Unsere freiheitlich-demokratische
Grundordnung gerät dadurch jedoch in Gefahr.
An dieser Stelle
kommen wir ins Spiel. Denn alle Teile unserer Gesellschaft, gerade
Kulturinstitutionen, Künstler*innen und Kreative, Dichter*innen und
Denker*innen, müssten mit einschneidenden Veränderungen rechnen, sobald
eine völkisch-national bis hin zu rechtsradikal ausgerichtete Partei
starken Einfluss auf unsere Politik gewinnt. Dafür einzustehen, dass nur
in einer durch Internationalität, Gleichheit und Freiheit geprägten
Welt Innovation, Prosperität, kulturelle Vielfalt und
gesamtgesellschaftliche Verantwortung gedeihen können, ist Ziel dieser
Ausstellung. Als Titel der Ausstellung bedienen wir uns dabei an einem Zitat aus dem Zweyten Brief einer Reihe von Briefen Über die asthetische Erziehung des Menschen von Friedrich Schiller: Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit und bringen Werke von 22 nationalen und internationalen Künstler*innen zusammen.
Dabei versuchen wir, die vielen damit in Verbindung
stehenden Themen abzubilden, wir arbeiten die Vergangenheit auf, bringen
zeitaktuelle Kontroversen zur Sprache und wagen einen Blick in die
Zukunft. Wir zeigen sowohl internationale als auch in Thüringen und
Sachsen ansässige Künstler*innen. Der aus Spanien stammende Künstler
Fernando Sánchez Castillo zum Beispiel beschäftigt sich in seiner Arbeit
mit Macht und Repräsentation, Machterhalt und Zerschlagung, Erinnerung
und Vergessen. Aufbauend auf tiefgreifender Recherche und komplexer
Aufarbeitung der Geschichte legt er den Finger in die Wunde der
Vergangenheit. In der Ausstellung zeigen wir neben der ironisch-witzigen
Videoarbeit "Pegasus Dance", welche die machtausübende Kraft zweier
Wasserwerfer in einen sinnlich-musischen Tanz umkehrt, eine Gruppe
seiner "Tank Man"-Figuren. Diese sind technisch aufwändig realisierte
Nachbildungen des bisher unbekannten Menschen, welcher sich 1989 während
der gewaltsamen Zerschlagung der Studentenproteste auf dem Platz des
Himmlischen Friedens in Peking den Panzern entgegenstellte. Eine Ikone
des Kampfes um Freiheit wird durch Castillo mal einem Machtsymbol
ähnlich überlebensgroß in Marmor, mal einem Spielzeugsoldaten ähnlich in
Miniatur und Masse produziert. Die Aufarbeitung der Vergangenheit und
die stetige Anwesenheit der Spuren der Geschichte sind auch Teil der
Auseinandersetzung der zweiteiligen Fotografie von Naomi Tereza Salmon.
Die schwarz-weiße Fotografie zeigt ein Oberlicht in der ehemaligen
Weimarhalle, in das kurz nach ihrer Fertigstellung 1933 ein Hakenkreuz
aus Glas eingebaut wurde. Während der Mangelwirtschaft der DDR-Zeit
wurde dieses nicht etwa entfernt, sondern die Glasscheiben nur
vertauscht. Das Hakenkreuz war jedoch noch ohne Frage ersichtlich und
auf diese Weise bis zum Abriss der ehemaligen Weimarhalle 1997
unkommentiert präsent. Auch das Künstlerduo Schröter und Berger begibt
sich auf Spurensuche der Vergangenheit. Ein Reprint des Signets der
Antifaschistischen Aktion im Format DIN A3, welches 1932 von dem
Bauhäusler Max Gebhard entworfen wurde, war zum einen Teil einer
Protestaktion in Bezug auf die Ausladung der politisch links
ausgerichteten Band Feine Sahne Fischfilet von einem ZDF-Konzert während
der Feierlichkeiten des 100-jährigen Bauhaus-Jubiläums und wird nun in
der Ausstellung mit einem Interview in Verbindung gebracht, das 2009 im
besetzten Haus in Weimar mit den Enkeln der Gestalter des Signets
geführt wurde. Hier stellen sich die Fragen nach der politischen
Verantwortung der Künste genauso wie die Bedeutung von kulturellen
Freiräumen.
Natürlich ist die Ausstellung auch auf vielseitige
Weise im Hier und Jetzt verankert. So zeigt die aus der Türkei stammende
Künstlerin Gökçen Dilek Acay einen 6,5 Meter langen Siebdruck-Banner
mit einer Aufschrift, in der sich das Wort "VOTE!" (Wähle!) in der
Wiederholung in das Wort "FATE", also Schicksal, verändert. Der aus
Thüringen stammende Künstler Tommy Neuwirth hat einen neuen Song
geschrieben, der sich an den Verlust der Realität und die Suche nach
Freiheit richtet. Adam Noack besuchte in den letzten Jahren regelmäßig
Demonstrationen in der 5000 Einwohner zählenden Kleinstadt Colditz bei
Leipzig. Diese waren geprägt von der Wut und dem Unverständnis gegenüber
den Corona-Maßnahmen, von Querdenker-Kreisen, von Impfgegnern,
Rechtspopulisten, Reichsbürgern und Rechtsextremen, aber auch von
Gegendemonstranten der alternativen und linken Szene. Aufbauend auf den
vielen dort entstandenen Zeichnungen entwickelte Noack in der
Ausstellung die gezeigte Mappe „Von Wutbürgern und anderen Engagierten",
bestehend aus 12 Siebdrucken. Das Erbe der Deutschen Einheit,
gesellschaftliche Wandlungsprozesse bis hin zur Entstehung rechter
Strömungen sind aktuelle Themen des Künstlers Sebastian Jung. Subtil und
subversiv beleuchtet er in seiner Arbeit "Der Gelbe Elefant" die
Verhältnisse und den sich vollziehenden Strukturwandel in einem
westdeutschen Einkaufszentrum und thematisiert dahingehend die Grundlage
für die Unzufriedenheit und die Gespaltenheit der Gesellschaft. Als
Metapher gegenüber den sich wiederholenden und zwanghaften Verhaltens-
und Bewegungsmustern einzelner Menschen oder ganzer sozialer Gruppen ist
im Kontext der Ausstellung die Videoarbeit von Elisa Jule Braun
"Depressed Animals" zu verstehen. Die immer gleichen Wege eingesperrter
Tiere im Zoo werden in dieser Arbeit auf die Bewegung von
Staubsaugerrobotern oder Drohnen übertragen. Die Wiederholung der
Geschehnisse ist auch bei Benedikt Braun Teil der Auseinandersetzung.
Gezeigt werden ein Klebeband mit der Aufschrift "Nichts wiederholt sich"
sowie ein T-Shirt mit dem Aufdruck "nach dem Dritten Reichts".
Einen
literarischen Hintergrund hat die Malerei von Enrico Freitag. Im
Kontext seiner Auseinandersetzung mit Arbeit, Produktion und den
Auswirkungen auf die Gesellschaft und Umwelt ist die Zeichnung eines
Schlachthauses als Hinweis auf das Stück von Bertolt Brecht "Die heilige
Johanna der Schlachthöfe" zu verstehen. Die Schwierigkeit, soziale
Kompromisse in der Krise zu finden, wird in diesem Stück in typisch
brechtscher Art genauso verhandelt wie der Kampf um Gleichheit und
Freiheit.
Auf ein anderes literarisches Stück bezieht sich
Kathryn Gohmert aus den USA mit ihrer Malerei "Angst frisst die Seele
auf". Das von Rainer Werner Fassbinder verfilmte deutsche Melodrama
"Angst essen Seele auf" thematisiert soziale Unterdrückung und
Ausgrenzung von Gastarbeitern in den frühen 1970er Jahren. Auch der
deutsche Sänger, Autor und Theaterregisseur Schorsch Kamerun hat mit der
Arbeit "Bevor wir kippen – Weimarer Sommer ´24" einen Kommentar zur
aktuellen Situation in die Ausstellung eingebracht, der auch das
Leitmotiv der regelmäßig auf dem weimarer Theaterplatz stattfindenden
Performances des Künstlers zum parallel stattfindenden Kunstfest ist.
Während
des Eröffnungswochenendes der Ausstellung am 24. und 25.08.2024 wird
bei EIGENHEIM Weimar zugleich das "Cringe Fest" im Rahmen des
baustelle3000' Artist-in-Residencies stattfinden. Das Programm des
"Cringe Fests" (Cringe – umgangssprachlich für „zusammenzucken“ oder
„erschaudern“) umfasst eine vielfältige Palette von künstlerischen
Aktivitäten, darunter Auftritte von Bands wie "lurch" aus Leipzig und
"F*tze" aus Berlin sowie die Vorführung des Films "Terror 2000 –
Intensivstation Deutschland" von Christoph Schlingensief aus dem Jahr
1992. Es wird also bunt und laut, und wir freuen uns auf euren Besuch.
Weimar
24.08.2024 - 11.10.2024DIE KUNST IST EINE TOCHTER DER FREIHEIT
zeitgenössische Positionen zu Demokratie und Vielfalt
Eröffnung 24.08. ab 19 Uhr
Dauer 24.08. –
28.09.2024 (verlängert bis 11.10.2024)
Ort EIGENHEIM Weimar, Asbachstraße 1, Weimar
teilnehmende Künstler*innen Adam Noack, Anna Schimkat, Anna Bittersohl,
Benedikt Braun, Claus Bach, Elisa Jule Braun, Enrico Freitag, Fernando
Sánchez Castillo, Frederik Foert, Gökçen Dilek Acay, Kathryn Gohmert,
Konstantin Bayer, Michal Schmidt, Moritz Stumm, Naomi Tereza Salmon,
Philipp Kummer, Schorsch Kamerun, Sebastian Jung, Schröter und Berger,
Timo Herbst und Marcus Nebe, Tommy Neuwirth