Berlin

01.09.2023 - 30.09.2023

Fenster auf Kipp // Heizung auf Fünf
EIGENHEIM Weimar/Berlin zu Gast bei Haunt Berlin

Ort: HAUNT Berlin, Kluckstraße 23A, 10785 Berlin-Tiergarten

Eröffnung: 01.09.2023, 17 Uhr - 21 Ihr
Dauer: 02.09. – 30.09.2023
Öffnungszeiten: Mi. – Sa. 14 bis 18 Uhr

beteiligte Künstler: Konstantin Bayer, Benedikt Braun, Enrico Freitag

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Informationen

Die erste Ausstellung der Reihe „EIGENHEIM Weimar/Berlin zu Gast im Haunt“ Berlin zeigt im September Arbeiten von Konstantin Bayer, Benedikt Braun und Enrico Freitag. Der Titel „Fenster auf Kipp // Heizung auf Fünf“ wird hierbei als Metapher für die Hybris des Menschen verstanden und versinnbildlicht die Idee einer nicht enden wollenden Verschwendungssucht sowie der scheinbaren Unmöglichkeit, aus der Komfortzone hinauszuwachsen. Das Zeitgeschehen ist eine Mischung aus Angst vor großen Umwerfungen und trotzigem Bestehen auf dem status quo. Die drei Künstler beschäftigen sich auf verschiedensten Ebenen mit diesen Umbrüchen – ob in der Wirtschaft, der Technologie, im Sozialen oder in Bezug auf die Umwelt.

Enrico Freitag beschäftigt sich in seiner Malerei und Zeichnung mit den Zusammenhängen zwischen Arbeit, industrieller Massenproduktion, Ausbeutung, Abhängigkeiten und den daraus entstehenden Verwerfungen für Mensch und Umwelt. So gibt es in der aktuellen Ausstellung Bilder von Flüchtlingen neben solchen von Monokulturlandschaften. Ein Zusammenhang stellt sich dabei durch den großindustriellen Landkauf global agierender Unternehmen heraus. Dieser ist Grundlage für den Wegfall kleinteiliger Landwirtschaftsbetriebe, die Existenznöte der Bevölkerung schürt und somit eine Grundlage für Flüchtlingsströme ist.

Dabei greift Freitag auf eine breite Auswahl verschiedener Bildmotive zurück. Mal entführt uns eine Marienfigur in das Biblisch-Alttestamentarische Motiv der Flucht aus Ägypten, mal ein Bild welches aufgrund der Mode in die 1920 Jahre passt und auf diese Weise zum Beispiel die Vertreibung der Sudetendeutschen während des zweiten Weltkrieges thematisiert. Aber auch aktuelle im kollektiven Gedächtnis verankerte Motive aktueller Flüchtlingsströme aufgrund kriegerischer Auseinandersetzungen in Syrien oder Hungersnöte im Jemen. Auf all diese sozialen Verwerfungen macht uns Freitag aufmerksam und bewahrt sich dabei einen universellen Blick von außen. Ein anderes Bild vertieft darüber hinaus den Themenkomplex Massenproduktion, Wegwerfgesellschaft und die Umweltproblematik. Wer sich schon mal mit der größten Müllkippe Europas, Malagrotta, bei Rom beschäftigt hat, wird sich an das stark durch Menschen geprägte Landschaftsbild in einer großformatigen Arbeit der Ausstellung erinnern. Hierbei schlägt der Künstler eine inhaltliche Klammer zu den erwähnten Monokulturlandschaften, geht es ihm doch in diesen Motiven um die malerische Erforschung der durch Menschen veränderten Landschaften.

Seine figurative Malerei und Zeichnung kokettiert mit der Abstraktion und fordert uns in unseren Sehgewohnheiten heraus - ein lebendiges Nebeneinander von intensivem Duktus, fein gesetzten Schattierungen, starken Hell-Dunkel-Kontrasten und abstrakt wirkenden geometrischen Einschüben. Seine eigentlich sehr farbgewaltigen Kompositionen werden in dieser Ausstellung ersetzt durch Arbeiten mit Kohle auf Leinwand. Dadurch schafft er es, seine bekannten kleinformatigen Zeichnungen und Aquarelle in eine neue Dimension zu übertragen. Alles scheint einem Negativ, eines alten schwarzweiß Fotos ähnlich, und ist auf diese Weise vielleicht eine Aufforderung zum Hinterfragen der Sehgewohnheiten und Meinungsmuster.

Benedikt Braun zeigt uns eine umfangreiche Serie von KI generierten Bildern mit dem Titel „KInchen“ und macht somit auf eine aktuelle viel diskutierte technologische Entwicklung aufmerksam, welche durchaus für einen nächsten Kippmoment sorgen könnte. Braun trainierte eine KI mit Abbildungen seiner Installation „Shit Hoppels“. Diese besteht aus einem Hochstand aus Dachlatten, in welchem ein Plüschhase saß. Bewegte sich der Ausstellungsbesucher auf die Installation zu, aktivierten sich Scheinwerfer und ließen den Besucher im Lichtkegel stehen. Der Jäger Mensch wurde in dem Moment zum Gejagten – der gejagte Hase zum Jäger. Ein Spiel mit Machtverhältnissen und Heteronomie. Das Kaninchen jedoch steht für den Künstler für mehr: Ob man nun „Dem toten Hasen die Kunst erklärt“ oder einem Zauberer ähnlich trickreich und ohne Wissen über die Art und Weise den Hasen aus dem Zylinder zieht – all das sind Parallelen welche Braun der Entwicklung von KI generierter Kunst mit der Arbeit KInchen begegnet. Benedikt Braun jedoch geht noch einen Schritt weiter und lässt sich von den Bildern der künstlichen Intelligenz inspirieren, ja geht sogar eine Art Kooperation mit dieser ein. Aus den über 500 gerahmten Bildern, einer Auswahl aus Tausenden, nimmt er sich einzelner an und überträgt diese wiederum in die Realität, in dem er diese nachbaut. Der Umfang der Serie lässt uns in einem Gefühl der Überforderung zurück und verweist auf die inflationäre Bildproduktion der KI.

Auch die Wirtschaft befindet sich auf einem Kippmoment. Es wird immer deutlicher, dass ein stetiges Höher Schneller Weiter wohl kaum zukunftsfähig ist. Genau darum geht es Braun in seinen vielen Arbeiten, welche sich mit der kleinsten Geldeinheit beschäftigen. Schon vor Jahren rief er den P(r)ostkapitalismus aus – baute archäologische Ausgrabungsstätten ähnlich Massengräbern für das Kapital oder ließ 50.000 1-Cent Münzen durch zwei Industrieförderbänder im Kreis laufen. In dieser Ausstellung zeigt er neben der Cashcow, einer Installation welche jede Minute einen Cent ausspuckt und auf diese Weise für eine Konjunkturbelebung der unteren Schichten sorgt, auch eine Waffe mit welcher 1- Cent Stücke geschossen werden können. Ähnlich einer Banknotenpistole wird hierbei die kleinste Geldeinheit zum großen Protagonisten und hinterfragt unsere monetären Wertvorstellungen und grundlegenden Machtverhältnisse.

Diese werden auch bei der Arbeit „Hals über Kopf“ hinterfragt. Die Installation aus dem Jahr 2014 ist ein kühnes und provokatives Kunstwerk, das sich mit Themen wie Demonstrationen, Umsturz, Revolution und der Rolle des Künstlers in der Gesellschaft auseinandersetzt. Die Konstruktion besteht aus Gerüststangen, einer Seilwinde und einem Bierkasten, der oben an der Konstruktion angebracht ist. Wenn der Bierkasten mit Pfandflaschen gefüllt und die Seilwinde betätigt wird, kippt der Kasten langsam und die Flaschen fallen heraus, um auf einer Metallplatte zu zerschellen. Die Installation dekonstruiert geschickt das Motiv des Flaschenwerfens bei Demonstrationen und hinterfragt die Semiotik dieses Akts in der heutigen Gesellschaft. Durch die Domestizierung des Flaschenwerfens wird der Betrachter dazu angeregt, über die Rolle von Aggression, Zerstörung und Revolution in unserer Kultur zu reflektieren. Die Guillotine-ähnliche Konstruktion der Installation verweist auf Umsturz und Revolution und stellt die Frage, ob das Zerschellen von Pfandflaschen als symbolischer Akt der Rebellion oder als sinnloses Ritual der Zerstörung betrachtet werden sollte. Die Installation wirft auch die Frage auf, ob sich ein „armer“ Künstler solch eine Zerstörung leisten kann und inwieweit die Zerstörung von Pfandflaschen – und damit auch die Vernichtung von Ressourcen – in einem gesellschaftlichen Kontext gerechtfertigt ist.

Konstantin Bayer beschäftigt sich in den drei neuen, für die Ausstellung produzierten Arbeiten mit unterschiedlichen Kippmomenten in Bezug auf Klimawandel und Umweltzerstörung. Die Einkanal Videoinstallation „Lippendorf“ besteht aus dem Zusammenspiel einer Videosequenz und einer aus anderem Ursprung stammenden Soundkomposition. Lippendorf ist ein mit Braunkohle befeuertes Dampfkraftwerk im Südosten von Leipzig und ist mit einem CO2-Ausstoß von 11,1 Mio. Tonnen das Kraftwerk mit den neunthöchsten Treibhausgasemissionen in Europa. Das Kraftwerk steht in der Kritik, da es große Mengen an Stickstoffoxiden, Schwefeloxiden, Quecksilber und Feinstaub emittiert, an Letzterem können Krebs erzeugende Substanzen (Blei, Cadmium, Nickel, PAK, Dioxine und Furane) haften. Insbesondere die Schwermetallemissionen liegen deutlich höher, als bei vergleichbaren deutschen Braunkohlekraftwerken. Einer von Greenpeace bei der Universität Stuttgart in Auftrag gegebenen Studie nach waren die Schadstoffemissionen, die von 67 deutschen Kohlekraftwerken verursacht wurden, jährlich für den Verlust von etwa 33.000 Lebensjahren in Deutschland und Europa verantwortlich. Dieser fast unvorstellbar hohen Zahl versucht der Künstler durch ein Video der wolkenbildenden Abgase einer der Kühltürme in Verbindung mit einer dröhnenden Soundkomposition, ausgehend von einem Fieldrecording einer Autofahrt, zu untermalen. Die Wolken wirken bedrohlich und massiv und der düstere, tief grollende Sound versetzt den Betrachter in ein Gefühl der Verunsicherung.

Die Arbeit „Gedenksteine“ offenbart apokalyptische Zukunftsvisionen des Künstlers und hat ihren Ausgangspunkt in der Beschäftigung mit historischen Umweltkatastrophen wie der Thüringer Sintflut von 1613. Von dieser gibt es unterschiedlichste historische Aufzeichnungen wie Hochwassermarkierungen oder eben Gedenksteine. Anlehnend an diesen über 400 Jahre alten Gedenkstein, welcher sich im Weimarer Stadtmuseum befindet, entwickelte der Künstler eigene, weit in der Zukunft liegende Visionen und brachte diese auf Steintafeln.

Die raumgreifende Installation „kleine Umweltbibliothek“ besteht aus knapp 200 Büchern aus verschiedenen Bereichen der Biologie, welche mit Unterbodenschutz auf Bitumenbasis aus dem Automobilbereich geschwärzt, verklebt und unkenntlich gemacht wurden. Einzig die, der kleinen Umweltbibliothek eigene Systematik offenbart Rückschlüsse auf den Inhalt der Bücher. Unterteilt in die Bereiche Zoologie, Botanik, Biotope und Landschaften, Biologie und Pilze wird hier der Ohnmacht über den Verlust der Artenvielfalt und Naturlandschaften Ausdruck verliehen. Inspiriert von der Arbeit „Volkszählung (Census)“ von Anselm Kiefer aus dem Jahr 1991 soll auch die kleine Umweltbibliotek das Scheitern einer Gesellschaft versinnbildlichen.

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